Umweltdeklaration

Kein EPD - Kein Auftrag

Nachhaltigkeit
06.05.2024

Umweltproduktdeklarationen werden in wenigen Jahren für die Zulassung von Bauprodukten verpflichtend vorgeschrieben sein. In vielen Fällen sind sie aber bereits jetzt schon ein Muss.

Sebastian Spaun spricht Klartext: „EPDs sind kein Marketinginstrument“, meint der Geschäftsführer der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie (VÖZ). „Sie sind die strengste Form einer Ausweisung von Umweltdaten“, so Spaun weiter. Nachsatz: „Und sie sind ein Must-have für die Hersteller von Bauprodukten – oder werden es sehr rasch werden.“

Das Kürzel EPDs steht für „Environmental Product Declaration“. Auf Deutsch: Umweltproduktdeklaration. In einem EPD werden die Umweltbelastungen erfasst, die mit der Herstellung und Nutzung eines Produktes entstehen – und zwar über den gesamten Lebenszyklus des Produktes hinweg: von der Herstellung der verwendeten Materialien und der Produktion des Produktes selbst über seine Nutzung bis hin zur Entsorgung oder Wiederverwertung. Von „cradle to grave“ nennen das die Fachleute. VÖZ-Geschäftsführer Spaun: „Ein EPD ist wie ein sehr umfangreicher Personalausweis, in dem alle relevanten Umweltdaten eines Produktes erfasst werden.“

Der Vergleich mit dem behördlichen Ausweisdokument ist gut gewählt. Denn die Erstellung einer EPD ist streng reglementiert. Sie muss auf Basis der europäischen Norm EN 15804 erstellt und von einer externen Stelle verifiziert werden. In Österreich werden die Umweltdeklarationen von der Bau-EPD GmbH ausgestellt. Sie sorgt als akkreditierte Stelle für die unabhängige Verifizierung der Daten. Die Erstellung eines EPDs ist keine triviale Angelegenheit. Sie erfordert eine komplette Ökobilanzierung. Mehr als 30 Parameter werden dabei unter die Lupe genommen. Die wichtigsten davon sind das Treibhauspotenzial – auch Global Warming Potential (GWP) genannt, das im Wesentlichen den CO2-Fussabdruck widerspiegelt – sowie das Versauerungspotenzial und der Primärenergiebedarf.

Die geprüften Umweltdeklarationen werden in Österreich auf www.bau-epd.at und auf den Websites der Hersteller veröffentlicht. Zudem werden die Datensätze in den Datenbanken Baubook (in Österreich), Ökobaudat (in Deutschland) und Eco Platform (für Europa) hinterlegt.

Für die Berechnung der EPDs gibt es derzeit noch zwei Möglichkeiten. Die erste ist die Einzel-EPD: eine Umweltdeklaration, die für ein einzelnes Produkt oder eine Produktgruppe berechnet wird. Bei der zweiten Variante handelt es sich um die sogenannte „Branchen-EPD“. Diese beinhaltet die Daten verschiedener Hersteller und bildet einen Durchschnittswert ab. Branchen-EPDs sind zwar in den Frühphasen der Planung hilfreich. Sie eignen sich allerdings nicht dazu, das begehrte Umweltzeichen gemäß ISO 14024 zu erhalten – im Unterschied zu Einzel-EPDs.

EPDs sind für die europäische Bauwirtschaft bislang noch nicht verpflichtend. Die Betonung liegt hier allerdings auf „noch“. Denn der Entwurf für die neue Bauprodukte-Verordnung der EU sieht folgendes vor: Für die Zulassung eines Bauproduktes muss der Hersteller verbindlich das zertifizierte GWP des Produktes vorweisen. Experten wie VÖZ-Geschäftsführer Spaun sind der Meinung, „dass man dies in der Praxis am sinnvollsten im Zuge der Erstellung einer EPDs ermittelt“.

Um die neue Bauprodukte-Verordnung wird seit geraumer Zeit gerungen. Sie soll nun noch vor dem Sommer verabschiedet werden und Mitte 2025 in Kraft treten. Danach gibt es Übergangsfristen. Die Zementhersteller rechnen zum Beispiel damit, „dass der GWP-Nachweis ab Ende 2026 oder spätestens Mitte 2027 für uns verpflichtend sein wird“, so ein Manager der Branche.

In Wirklichkeit braucht es dieser Verpflichtung aber kaum noch. Der Markt ist schneller als die Regulatoren. „Wir erhalten jetzt schon laufend Anfragen von Kunden, die EPDs zu unseren Produkten erhalten möchten“, schildert Gernot Tritthart, Vertriebs- und Marketing Direktor beim Zementhersteller Holcim in Österreich. Tritthart weiter: „Das hat im Vorjahr begonnen und nimmt stetig zu. Die Entwicklung geht in die richtige Richtung." Holcim war als Pilot für die Branche tätig und kann bereits für alle Zement- und Betonzusatzstoffe EPDs vorweisen.

Die Kunden der Zementhersteller, die heimischen Bauunternehmen, stehen ihrerseits unter wachsendem Druck. Dieser kommt vor allem von den öffentlichen Auftraggebern, auf die rund 30 bis 40 Prozent des in Österreich verbauten Zements entfallen. Sie verlangen bei ihren Ausschreibungen oftmals bereits die Vorlage von EPDs. Diese Verpflichtung geben die Bauunternehmen natürlich an ihre Lieferanten weiter. Das bedeutet: Wer kein EPD vorlegen kann, ist nicht dabei. VÖZ-Mann Spaun begrüßt den Druck der öffentlichen Auftraggeber. „Die heimischen Zement- und Betonhersteller investieren viel Geld in die Entwicklung von CO2-armen Produkten“, so Spaun. „Diese Produkte müssen aber auch vom Markt angenommen werden. Sonst verschwinden sie wieder aus dem Sortiment.“

Diese Gefahr dürfte allerdings gering sein. Das sieht auch Spaun so: „Der Zug fährt klar in eine Richtung.“ Die österreichischen Zementhersteller haben daher Ende Juli 2023 einen branchenweiten EPD-Rechner zertifizieren lassen, mit dem sie die Umweltdeklarationen für ihre Produkte erstellen können. Holcim hat dies bereits für 15 Produkte gemacht. Die anderen Herstellen arbeiten ebenfalls daran. Der Güteverband Transportbeton (GVTB) stellt seinen Mitgliedern seit Ende 2023 einen GWP-Rechner zur Verfügung. Der Verband Österreichischer Beton- und Fertigteilhersteller (VÖB) will bis Mitte 2024 den Verifizierungsprozess für seinen EPD-Rechner abschließen. „Parallel dazu werden bereits auch erste Umweltproduktdeklarationen für einzelnen Betonfertigteile bzw. Produktbereiche verifiziert“, so VÖB-Geschäftsführer Anton Glasmaier.

Und der Druck auf die Hersteller kommt nicht nur von Seiten der öffentlichen Auftraggeber: Es gibt kaum noch private Bauträger, die bei mehrgeschossigen Wohnbau- oder Büroprojekten auf eine Nachhaltigkeits-Zertifizierung verzichten, wie sie beispielsweise von der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI) vergeben werden (siehe dazu das Interview mit ÖGNI-Geschäftsführer Peter Engert in der Bauzeitung 5/2024). Zudem sind börsennotierte Bauunternehmen im Zuge des Nachhaltigkeitsberichtswesens verpflichtet, eine CO2-Bilanz vorzulegen. Und das können sie nur, wenn sie entsprechende Informationen von ihren Lieferanten erhalten: „Wir treten in den Dialog mit einer Vielzahl“ von Lieferanten, um deren „Product Carbon Footprint zu erfragen, welcher sich letztendlich aus EPDs ermitteln lässt.“  

Einige Lieferanten machen aus dem Druck eine Tugend. „Wir haben bereits den CO2-Fussabdruck für all unsere 7.000 Einzelartikel berechnet und können diesen für unsere Kunden ausweisen“, sagt Harald Zulehner, Österreich-Geschäftsführer des Schalungsanbieters Doka. „Wir arbeiten das heuer in unser ERP-System ein.“ Man wolle auf jeden Lieferschein drucken können: „Diese Lieferung entspricht so und so vielen CO2-Äquivalenten.“ Bei Angeboten könne man das heute schon.

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