Austria’s next Top-Mayor

Kommunalpolitik
14.05.2019

 
Reinhard Seiß zum Thema verantwortungsvolle Kommunalpoilitik: Weltweit wurden Bürgermeister in den letzten Jahren geradezu zu Shootingstars der Politik, mit Erfolgsbilanzen und Popularitätswerten, die für ihre Kollegen auf nationaler und regionaler Ebene längst illusorisch anmuten. Ihr Rezept: Handeln statt reden, und das im Sinne des Gemeinwohls. Offenbar erlaubt die kommunale Ebene auch in den Bereichen Orts- und Stadtentwicklung sowie Verkehr nach wie vor sachliche Entscheidungen und nachhaltige Problemlösungen, während die „hohe Politik“ durch parteiinterne Interessen, Willfährigkeit gegenüber der Wirtschaft und zu große Bürgerferne seit Langem auf der Stelle tritt.  
Österreichs Politiker hätten im Fall durchgreifender Reformen im Sinn einer nachhaltigen Entwicklung keine allzu großen Widerstände zu befürchten.
Österreichs Politiker hätten im Fall durchgreifender Reformen im Sinn einer nachhaltigen Entwicklung keine allzu großen Widerstände zu befürchten.

Auch in Österreich erscheinen manche Kommunen mittlerweile als (letzte) institutionelle Hoffnungsträger für überfällige Veränderungen. Mit ihren Maßnahmen führen verantwortungsvolle Lokalpolitiker vor Augen, was auch auf übergeordneter Ebene zur Lösung gesamtstaatlicher, ja globaler Probleme unternommen werden müsste – sei es der Klimawandel, sei es die Verknappung wertvollen Bodens. Freilich überzeugen hierzulande bisher vor allem Bürgermeister kleinerer Gemeinden. Auf die großen „Stars“ warten wir noch.

Demokratisierung der Stadt
Ein lohnendes Role Model wäre etwa Enrique Peñalosa.  Der in den USA ausgebildete Volkswirt veränderte als Bürgermeister von Bogotá wie kein anderer die kolumbianische 8-Millionen-Metropole, und das binnen weniger Jahre – in einem Land, dem man mit selbstgefälliger europäischer Geringschätzung eher Unregierbarkeit als Modellhaftigkeit attestieren würde. Die Maxime seiner Politik war und ist die Verbesserung der Lebensverhältnisse möglichst aller Bürger. In einer Stadt, die zwar im Autoverkehr erstickte, in der sich der Großteil der Bewohner aber gar keinen eigenen Pkw leisten kann, galt ein weiterer Straßenausbau für Peñalosa als undemokratisch. Er entschied, einen Weltbankkredit für eine seit Langem geplante Stadtautobahn „umzuwidmen“ – und in der für den Autoverkehr frei gehaltenen Trasse einen Fahrrad-Highway zu errichten. Denn ein Rad kann sich so gut wie jeder Kolumbianer leisten. Zumal dieser „Highway für alle“ deutlich weniger Geld in Anspruch nahm als das ursprünglich geplante Projekt, blieben noch genügend Mittel, um den Grünraum beiderseits dieser neuen Hauptverkehrsachse attraktiv zu gestalten – sowie entlang der Radschnellverbindung Schulen, Bibliotheken und andere öffentliche Einrichtungen zu bauen, die wiederum allen, nicht nur den Eliten, zugutekommen. Und da die Kommune in ganz Bogotá noch weitere Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs ergriff, prägten die ­„Ciclistas“ bald allenthalben das Stadtbild.

Eine weitere Säule der „Demokratisierung“ des Stadtverkehrs ist das „TransMilenio-Busway“-System, für das Peñalosa auf den Bau eines teuren, erst langfristig realisierbaren und doch nie flächendeckend wirksamen U-Bahn-Systems fürs erste verzichtete. Kurzfristig und kostenlos möglich hingegen war es, den Autos selbst auf den Autobahnen Bogotás ganze Fahrspuren zu entziehen, um dem öffentlichen Verkehr in dichtem Takt – vorbei an den täglichen Staus – freie Fahrt durch den Ballungsraum zu ermöglichen. So wie für das Recht auf leistbare Mobilität engagiert sich der Bürgermeister auch für das Recht auf einen lebenswerten öffentliche n Raum – weshalb neben dem neuen Radwegenetz auch Hunderte Kilometer neuer Gehwege, zahlreiche Fußgängerzonen, Grünanlagen und Parks entstanden sind, die den Bürgern ihre Stadt ein Stück weit zurückgeben. Es würde hier zu weit führen, auf alle Maßnahmen des charismatischen Kommunalpolitikers – sei es das Pflanzen von über 100.000 Bäumen, sei es die Stärkung der Bürgerbeteiligung insbesondere in benachteiligten Vierteln – im Detail einzugehen. Klar wird allerdings auch so: Stellt man sie dem Wirken der meisten heimischen Stadtväter gegenüber, fällt die Bilanz geradezu beschämend aus: für die die meisten österreichischen Stadtregierungen, wohlgemerkt, die im Fall durchgreifender Reformen – und auch das sei gesagt – vergleichsweise geringe Widerstände zu gewärtigen hätten. Denn während in Kolumbien sogar schon Fußballer für ein Eigentor hingerichtet wurden, würden hiesige Politiker bei einem grundlegenden Wandel der Stadtentwicklung höchstens die Freundschaft einiger Wirtschaftskapitäne oder Zeitungsherausgeber verlieren.

Wasser predigen, Wein trinken
Zwar verkünden heimische Entscheidungsträger in ihren unverbindlichen Konzepten die ehrgeizigsten Vorsätze zur Verkehrs- und Energiewende, für eine grüne Stadt der kurzen Wege und eine urbane, nachhaltige Entwicklung – nennenswerte oder gar systemverändernde Maßnahmen aber werden nicht genannt und folglich auch nicht ergriffen. Ja, mit ihren faktischen Projektentscheidungen konterkarieren sie mitunter ihre eigenen Zielsetzungen: So lässt sich das rot-grüne Wien vom Bund eine Schnellstraße durch den Nationalpark Donauauen bauen, das rot-blaue Linz wiederum eine Stadtautobahn bis ans Zentrum heran errichten – und das schwarz-blaue Graz lockt mit Hunderten neuen Tiefgaragenplätzen in der historischen Altstadt, entgegen allen Warnungen seiner Planer, den Autoverkehr in die „Smart City“. Ihnen gegenüber stehen Kollegen wie Seouls ehemaliger Bürgermeister Lee Myung-bak, der in seiner Amtszeit nicht nur den öffentlichen Verkehr massiv ausweitete, sondern auch 300 Millionen Euro in die Hand nahm, um eine sechs Kilometer lange Stadtautobahn – nein, nicht zu bauen, sondern – abzureißen, das da­runter seit den 1960er Jahren begrabene Tal des Flusses Cheonggyecheon zu renaturieren und es den zehn Millionen Bewohnern als Grün- und Erholungsraum zurückzugeben; im Übrigen, ohne die Metropole dadurch in einen Verkehrsinfarkt zu hetzen. Lee war auch kein Grünpolitiker, sondern Konservativer, kein Umweltschützer, sondern ehemaliger Direktor beim Automobilkonzern Hyundai – und wurde hernach nicht aus dem Amt gejagt, sondern zu Südkoreas Staats­präsidenten gewählt.

Die Liste weitblickender Bürgermeister ließe sich beliebig fortsetzen – und steht mittlerweile für zahlreiche zu Klassikern gewordene Best Practices der Planungspolitik. Man denke etwa an São Paulo, wo Bürgermeister Gilberto Kassab jegliche Außenwerbungen im bis dahin von Leuchtreklamen, Billboards, Plakaten und Laufschriften geprägten Stadtraum der 12-Millionen-Metropole verbieten ließ. Oder an die frühere Hausbesetzerin, Globalisierungskritikerin und Bürgeraktivistin Ada Colau, die 2015 zur Bürgermeisterin von Barcelona gewählt wurde – und mit großem Elan die verkehrspolitische Neuausrichtung der katalanischen Kapitale als menschengerechte Großstadt vorantreibt: Dafür werden in bestehenden Vierteln mehrere Baublöcke zu sogenannten „Super Blocks“ zusammengefasst, in denen Autos sozusagen nur noch zu Gast sind. Lediglich Anwohner und lokale Wirtschaftstreibende dürfen noch zufahren, dies aber mit höchstens 10 km/h. Der gesamte Straßenraum wird auf ein Niveau gebracht, wodurch die Fahrbahnen faktisch verschwinden. Kreuzungen werden zu Parks umgestaltet. An den Rändern dieser Grätzel fahren öffentliche Verkehrsmittel. Das Radfahren und Alternativen zum privaten Pkw werden gefördert. Der Erfolg? Die Straßen innerhalb der Super Blocks sind wieder Spiel-, Kommunikations- und Aufenthaltsorte – also Lebensraum. Die Begrünung stärkt die Biodiversität und wirkt sich positiv auf das Kleinklima aus. Teils heruntergekommene Viertel werden aufgewertet und gewinnen an Lebensqualität. Und nicht zuletzt verändert sich das Mobilitätsverhalten der Bürger zugunsten klimaschonender Verkehrsformen.

Heimische Vorbilder
Auch Österreich kennt solche Überzeugungstäter, wenn auch noch aus keiner größeren Stadt: etwa Josef Mathis, den mittlerweile pensionierten Langzeitbürgermeister der Vorarl­berger Gemeinde Zwischenwasser, oder Ulrike Böker, die inzwischen in den oberösterreichischen Landtag gewechselte Ex-Bürgermeisterin von Ottensheim. Mathis hat in 33 Jahren Amtszeit aus seiner 3.200-Einwohner-Gemeinde ein internationales Vorzeigebeispiel für nachhaltige Ortsentwicklung gemacht. Zwischenwasser war eine der ersten ländlichen Kommunen mit einem Car-Sharing-Angebot, setzte früh auf Solarenergie und leistete sich vor vielen anderen Gemeinden einen unabhängigen Fachbeirat für Architektur und Gemeindeentwicklung sowie für seine bauwilligen Bewohner und Unternehmer eine qualifizierte Bau- und Sanierungsberatung. In Raumplanungskreisen erlangte der Bürgermeister österreichweite Bekanntheit, als es über 20 Hektar ortsfernen Baulands und Bauerwartungslands entschädigungsfrei in Grünland rückwidmen ließ und dies erfolgreich bis vor dem Verfassungsgerichtshof verteidigte.

Daneben engagierte er sich für die Einführung des „Landbusses“ als heute attraktiven öffentlichen Verkehr in der Region sowie für eine effizientere interkommunale und städtebaulich anspruchsvollere Gewerbeentwicklung im Großraum Feldkirch. Und nach wie vor macht Josef Mathis ehrenamtlich politisches und gesellschaftliches Lobbying für eine „gemeinwohl­orientierte und enkeltaugliche“ Entwicklung von Vorarl­bergs Gemeinden. Ulrike Böker wiederum schuf in ihrer 4.800-Einwohner-Gemeinde eine Good Practice in Sachen Ortskernentwicklung und Zentrumsbelebung. Mit reger Bürgerbeteiligung wurden Neunutzungs- und Sanierungskonzepte für den Gebäudestand erarbeitet – was zum einen manch leerstehendes historisches Haus vor dem Verfall bewahrte und zum anderen die Bestrebungen um eine flächensparende Bauland­entwicklung unterstützte. Konsequenterweise verhinderte die Bürgermeisterin unter anderem die Ansiedlung eines Fachmarktzen­trums auf der „grünen Wiese“ und setzte zahlreiche Maßnahmen, um die Dominanz des Autos in Ottensheim zurückzudrängen.

Fehlende Unterstützung
Gleichwohl reicht das Engagement auch noch so vieler Lokalpolitiker nicht aus, um die gemeindeübergreifenden Probleme unserer Siedlungs- und Verkehrsentwicklung zu lösen, solange zahlreiche Gesetze und Verordnungen, Steuern, Abgaben und Förderungen oder auch große Infrastruktur­investitionsentscheidungen der Bundes- und Landespolitik in die entgegengesetzte Richtung wirken – oder zumindest die erforderliche Unterstützung versagen. So können beispielsweise niederösterreichische Bürgermeister eine noch so ambitionierte Verkehrspolitik verfechten, wenn das Land wie vor wenigen Jahren von den ÖBB Hunderte Kilometer Nebenbahnen übernimmt, um sie kurz darauf mehrheitlich aufzulassen – und im Gegenzug eine Schnellstraße nach der anderen projektiert, getoppt nur noch von FP-Verkehrsminister Norbert Hofers anachronistischem Vorhaben einer Autobahn quer durchs Waldviertel. Auch die Bemühungen vieler österreichischer Kommunen um eine bodensparende und kompakte Siedlungsentwicklung bleiben mehrheitlich wirkungslos, solange die jeweiligen Gesetzgeber nicht die erforderlichen Instrumente dafür bereitstellen: sei es eine reformierte Grundsteuer, die flächenvergeudendes Bauen zu einem wahren Luxus macht, sei es eine konsequente Bodenpolitik, mit der Baulandhortung und Zersiedlung tatsächlich bekämpft werden können, sei es eine Neuverteilung der Infrastrukturkosten, die dem Verursacherprinzip folgt – und sparsame zu Lasten sorgloser Gemeinden belohnt.

Solidarisierung der Kommunen
Genauso reformiert werden müssten Finanzausgleich und Kommunalsteuer, Wohnbauförderung, Pendlerpauschale oder die Steuervergünstigung für Dienstwagen, die derzeit vielfach einer nachhaltigen Orts- und Stadtentwicklung entgegenwirken. Auch Bauordnungen und Stellplatzverordnungen erweisen sich dahingehend oft als kontraproduktiv. Und solange die Wirtschaftsförderung nicht auf ein Recycling von Gewerbebrachen und die Neunutzung von Leerständen abzielt, ist sie ebenso wenig zukunftstauglich. Zumal immer mehr Bürgermeister dieselben Defizite in der übergeordneten Politik ausmachen, wäre es an der Zeit, dass sich die Kommunen, die allesamt im Städtebund und Gemeindebund organisiert sind, deutlich stärker als bisher solidarisieren und ihren Interessen, die auch gesamtstaatliche Interessen sein müssten, gegenüber Bund und Ländern gemeinsamen Nachdruck verleihen. Papiere gibt es auch hierfür längst genug – etwa ein Konzept des Städtebunds zur Stärkung der Orts- und Stadtzentren, oder diverse Empfehlungen der ÖROK, der Österreichischen Raumordnungskonferenz. Was hierzulande noch weitgehend fehlt, ist das, was Best Practice-Verantwortliche weltweit auszeichnet: nämlich handeln statt reden, und das im Sinne des Gemeinwohls.

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